Mittwoch, 5. Mai 2010

Über das Reisen

Damit Ihr das folgende verstehen könnt, muss ich vielleicht nochmal klarstellen, dass das, was wir hier machen, kein Urlaub ist. Der Unterschied zwischen Urlaub und Reisen besteht unserer Meinung darin, dass es beim Reisen nicht in erster Linie um Erholung geht, wo man es sich also möglichst angenehm und komfortabel macht (und sich das ruhig auch mal was kosten lässt). Uns geht es beim Reisen (meistens) darum, uns möglichst so fortzubewegen, wie es die Einheimischen tun, dort zu essen, wo die Einheimischen essen und günstig zu übernachten. Zumindest dann, wenn es für uns annehmbar ist oder der Preis für die touristische Alternative unserer Meinung in keinem Verhältnis zur Leistung steht. Das tun wir, um möglichst viel davon mitzubekommen, wie das Leben für die Menschen ist, aber natürlich auch, um Kosten zu sparen. Eine einjährige Weltreise kostet normalerweise nicht soviel wie zwölf vierwöchige Urlaube.


Diese Art von Reisen ist oft anstrengender und manchmal kein Spaß. Nach unserer 3-4-stündigen Fahrt in einem Minibus ohne Klimaanlage, in den auf jede Sitzbank 4 Personen gequetscht wurden und wir noch einen unserer großen Rucksäcke auf dem Schoß hatten, kann mir keiner mehr erzählen, es wäre interessanter, weil authentischer, mit den lokalen Bussen zu fahren. Wir kamen uns vor wie bei einem Rockkonzert in der ersten Reihe, nur ohne Musik. Wir wissen jetzt, wie sich Sardinen fühlen.


Da wir uns bisher nicht organisierten Touren angeschlossen haben, kommt noch dazu, dass im Prinzip jeden Tag Entscheidungen getroffen und Informationen gesammelt werden müssen. Von den kleinen Dingen wie Wo kriegt man was zu essen, wo ist ein Supermarkt, wo eine Bank, wo übernachten wir, wie kommen wir da hin bis zu der eigentlichen Reiseplanung: Welche Orte oder Länder bereisen wir, was wollen wir uns dort anschauen, wie kommen wir von A nach B. Dazu muss man viel lesen und im Internet recherchieren und manchmal weiß man ja selbst nicht, was man will.


Wenn wir nach unserer Rückkehr gefragt werden, wie unsere Reise war, sind wir natürlich gezwungen, die Millionen von Eindrücke zu einem Extrakt zu filtern, um überhaupt eine Aussage treffen zu können.


Ein Phänomen beim Reisen – Ihr kennt das ganz bestimmt auch von anderen Gelegenheiten – ist ja folgendes: Die Entscheidung, ob einem ein Ort oder ein Reiseabschnitt in guter oder in schlechter Erinnerung bleibt, hängt meiner Meinung nach zu einem großen Teil von einer Vielzahl äußerer Einflüsse ab, die mit dem Ort selbst gar nichts zu tun haben müssen. Das sind die Dinge, die man später auf den Fotos nicht sieht (mir ging es bei der ersten Fotopräsentation in der Dom. Rep. schon so, dass ich beim Anschauen einiger Fotos dachte, ach schau mal, war ja doch ganz schön da):


Hat man sich gerade gestritten? Wird man gerade von Mücken zerfressen? Nerven die Händler, die einen auf Schritt und Tritt verfolgen? Ist man gerade krank? Ist einem warm oder kalt? Hat man eine Blase am Fuß?


Oder: Hat jemand sich gerade verliebt? Ist man mit netten Leuten unterwegs? Hat man gerade zwei, drei Bier getrunken und in guter Stimmung? Dann sind das schäbige Hostel, das müffelnde T-Shirt und der unbequeme Bus eher nebensächlich.


All diese Dinge verblassen mit der Zeit, aber sie beeinflussen die Erinnerung an einen Ort mehr als man glaubt. So gesehen kann es an jedem Ort der Welt schön oder sch… sein, s. „Heimat Deutschland“.

1 Kommentar:

  1. Liebe Ex-Weltreisenden,

    auch wenn dieser Kommentar villeicht garnicht mehr gelesen wird, schreib ich ihn trotzdem ... ;-)

    Ich kann sehr gut nachvollziehen was die Svenja beschreibt mit den "bleibenden" Eindrücken. Ich glaube die bleibenden Eindrücke werden dann eine tolerantere neugierigere Gelassenheit sein. Denn man hat ja schon "schlimmeres" erlebt. Das ist der große Unterschied zu den verbohrten Kleingartenbesitzern, um mal ein Klischee zu bedienen, die halt nichts anderes kennen als ihre Parzelle und das intensive kritische beobachten des Nachbarn. Da er nichts anderes kennt und dann auch nichts weiteres kennen lernen will, verschafft ihm das die Sicherheit die er braucht. Seine Meinung holt er sich aus der Bild und protestiert mit der Faust in der Tasche in seinem Kleingärtnerkreis gegen das Unbekannte.
    Ihr werdet höchstwahrscheinlich nie so werden, Gott sei Dank. (Zweifel habe ich da bei Lars ;-P

    Dieser Blog dient dann später der Erinnerungsstütze, denn was wahrscheinlich an Erinnerung zurückbleibt kann man nicht wirklich sagen. Der komische graue Klumpen da oben ist schon merkwürdig. Vielleicht ist es das müffelnde T-Shirt, die gequetschte Busfahrt oder die renitente Flughafenmitarbeiterin. Oder die schöne Blume am Wegesrand nach sechs Tagen Dauerrregen, die Stille einer schönen Aussicht ... wer weiss?

    Gruß
    MK

    AntwortenLöschen